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Transalp Deutschland-Italien in 3 Tagen 2006

The Hannibal Project - Ultradirettissima

oder: Man against Bike



Transalp - von Oberstdorf zu König Ortler auf der direktesten Route.

Von Deutschland nach Italien. Über Österreich und die Schweiz. In 3 Tagen.

Laufen macht Spaß!



Alle guten Läufer und zugleich passionierten Bergsteiger, aber auch Mountain Biker Mitteleuropas, träumen früher oder später in ihrem Leben davon:
Einmal zu Fuß bzw. mit dem MTB über die Alpen. 
Der Wege gäbe es viele. Besonders beliebt ist die Strecke von Oberstdorf nach Südtirol, mal mehr östlich u.a. über die Ötztaler Alpen, mal weiter westlich über das Schweizer Engadin.

shakal ryan entschied sich für:

7.000 Höhenmeter x2

6 Kilo Gepäck

5 Gebirge (Allgäuer, Lechtaler, Verwall, Silvretta, Sesvenna)

4 Länder (D - A - CH - I)

3 Tage

2.000er Pässe massenhaft

150 km+-

Ultradirettissima
Von Oberstdorf zu König Ortler auf der direktesten Route.



„Du bist bescheuert!“

Während ich noch über die Worte meiner Gegenüber sinniere, nimmt die fesche Wirtsfrau erst einmal weitere Bestellungen alkoholischer Hopfengetränke auf. Und meinen Wunsch nach einer Apfelschorle. Sie ist Österreicherin. Die Frau – nicht die Apfelschorle. Letztere wurde möglicherweise aus Vinschgauer, also italienischen Äpfeln geb(r)aut. Aber ein Pächterspaar aus Österreich in einer Hütte auf schweizer Boden, die dem Deutschen Alpenverein gehört? Das ist ungewöhnlich. Einmalig. Die große, moderne Heidelberger Hütte liegt am Ende eines fast zur Gänze zu Österreich gehörenden Tales auf 2264 Metern als einzige DAV-Unterkunft schon in der Schweiz und ist im Sommer eine gern besuchte, entsprechend ausgerüstete Station für die immer beliebter werdenden Alpenüberquerungen mit dem Mountain Bike.

Bin ich bescheuert?

Erst am gestrigen Vormittag war ich in Oberstdorf aufgebrochen, um meinen Traum einer sportlichen Überquerung der Alpen endlich wahr zu machen. 3 Tage. Jeden Abend in einem anderen Land. Deutschland – Österreich – Schweiz – Italien. Dabei für Puristen selbstverständlich: ohne jede Aufstiegshilfe oder Verkehrsmittelnutzung im Tal.

Und – in diesem Fall – auch ohne Ski oder Fahrrad.

Zunächst zurück zu den Äpfeln: Südtirol ist das grösste zusammenhängende Apfelanbaugebiet Europas mit angeblich etwa 10% jährlichem Anteil an der Gesamternte. Der Vinschgau ist sein westlicher Ausläufer. Dorthin also soll meine Reise gehen. Schon 2004 hatte ich den Versuch einer läuferischen Alpenüberquerung unternommen, war jedoch nach einem vorgeschalteten Alpin-Marathon in Oberstaufen kläglich bereits am zweiten Tag an meiner Aufgabe gescheitert. War es die falsche Routenwahl, der klassischen Hauptwanderstrecke von Oberstdorf über Kemptner und Memminger Hütte dem Fernwanderweg E5 folgend nach Zams? War es das einsetzende Regenwetter? Vielleicht der restliche Schnee in oberen Lagen, der im Juli das Fortkommen arg einbremsen kann? Oder meine Müdigkeit nach dem doch eigentlich gar nicht voll gelaufenen Marathon? Vermutlich hatte alles unglücklich zusammen gewirkt.

Und so beschloss ich, meinen nächsten Versuch besser vorzubereiten und spontan in eine günstige Großwetterlage im Spätsommer hineinzustarten.


2006. Es ist soweit. Anfang, fast Mitte September und tagelang Sonnenschein, eine möglicherweise stabile Hochwetterlage. Durch die Vorbereitung auf den Spartathlon in Griechenland, einen 246km-Nonstoplauf von Athen nach Sparta Ende September, bin ich in guter Gesamtverfassung. Am Samstag noch einen lockeren Marathon in Brandenburg in 3h11, Montagabend Einstieg in den Nachtzug nach München. Schließlich geht die Aktion zugleich vielleicht noch als letztes Höhen- und Härtetraining für den Spartathlon durch?

„Du bist bescheuert! Aber wir auch.“

Nun also sitze ich in der Heidelberger Hütte mit 3 Jungs aus Vorarlberg beisammen. Die sind „auf einer kleinen Tourenrunde mit dem MTB“, Bregenz-Italien und retour. Wie sich im Gespräch herausstellt, mit derselben Planetappe für den nächsten Tag.

Auf einmal liegt diese bescheuerte Wette in der Luft.

Ich bin noch heiß. Vom Duschen. Aber auch gebadet in tiefe Zufriedenheit über Leistungen auf der schon bezwungenen, mehr als anstrengenden Strecke. Übermut?

Noch am Mittag dieses zweiten Tages hatte es nicht gut für mich ausgesehen. Wie beim Erstversuch in den Bergen um Zams waren unerwartete Schwierigkeiten aufgetreten. Eine besonders gelungene: die Doppelseescharte. Was sich anhört nach gemütlichem Familienpicknick auf sattgrünweichen Moosteppichen in pittoreskem Bergseeambiente, wie es auf abertausenden Postkarten Urlauberträume weckt, stellte sich vorort nicht umsonst als Killer zahlreicher Transalpträumer vergangener Sommer dar. Ohne ... und erst recht mit Bike.

Das Internet ist voller „Begeisterungsschreiben“ über diesen alpinen Übergang:

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Matthias Breitkreuz meint: „Der Anfang vom Ende. Der Übergang über die Doppelseescharte auf dem Advokatenweg ist der blanke Hammer.“

User Superfriend weiss in einem MTB-Forum zu erzählen: „Irgendwann vor ein paar Jahren habe ich an der Heidelberger Hütte mit zwei Typen gesprochen, die über die Doppelseescharte sind. Kurz vor der Dunkelheit kamen die total fertig in die Hütte gewankt. Der eine blutend, der andere zitternd, beide fluchend...

Und User The Dusche berichtet dort gar (orthographisch von mir editiert und ergänzt): „Der Weg beim Aufstieg war komplett weg, keine Markierung ab diesem Hochplateau. Sehr lockeres Geröll, das immer wieder rutschte. So steil, dass man auf allen Vieren gehen musste und das Rad immer wieder vor sich geschmissen hat. Noch dazu bisserl Neuschnee und Steinschlag. Wir sind dann nurganz rüber weil es [wieder zurück] bergab noch gefährlicher gewesen wäre.
Lasst die Finger davon. Es ist schon ohne Rad kaum zu machen!!!“
 

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Das alles kann ich in der Rückschau definitiv bestätigen respektive nachempfinden. Beinahe scheint es, als hätten die Alpenvereine die Aufrechterhaltung und Pflege dieses Wegstückes im Verwallgebirge aufgegeben. Auch erfahrene Alpinisten, die in einer Gruppe unterwegs sind, würden hier ihre helle Freude bekommen. Die Route gilt inzwischen als anschauliches Lehrbeispiel für extreme Steinschlaggefährdung. Mindestens in einem trockenen Spätsommer.

Gleichwohl: Mutige sparen so eine Menge Kilometer zwischen der Darmstädter und besagter Heidelberger Hütte. Alleine der Aufstieg vom berühmten Skiort St.Anton aus durch das herrliche, noch nicht überlaufene Moostal, vorbei am türkis glitzernden neuen Stausee im Kartellboden, zuletzt -freilich schon recht steil- zum besonders leckeren Kaiserschmarr'n auf der Darmstädter Hütte, erscheint aller Mühen wert.

„Ja, von dieser Scharte haben wir auch schon gehört. Als Bregenzer müssen wir die zum Glück nicht einbauen in unsere Tour. Das morgen langt völlig. Aber so anstrengend wie es ist, das Val d'Uina ist echt ein Highlight der Alpen. Das muss man mal gesehen haben.“

Auch ich bin voller Vorfreude auf meinen letzten Pass, einen der herrlichsten Alpenübergänge, den alten Schmugglerpfad am Passo di Slingia zwischen dem schweizer Unterengadin und dem italienischen Vinschgau. Wo in tiefer Schlucht manch Vorkriegs-Glücksritter das Leben ließ, wurde ein spektakulärer Trail in senkrechte Felsen gesprengt, auf dem die allermeisten Biker am Ende lieber Schieber sind. Für Experten gilt es zwar als fahrbare Route, aber bei einem Sturz an vielen Stellen auch unweigerlich als tödliche. Weshalb das Befahren inzwischen sogar verboten sein soll. Pflichtschieben.

Schon die Strecke dorthin, von der Heidelberger Hütte über den unwegsamen Fimberpass ins Unterengadin, verspricht tolle Erlebnisse für den dritten und letzten Tag meiner Transalp. Und für den zweiten Tourentag der drei fitten Vorarlberger Bikeburschen. Eine veritable Härteprüfung für Material und Mensch in imposanter, einsamer Gebirgslandschaft. Auf insgesamt gut 40 Kilometern (die Angaben schwanken, ich habe nicht nachgemessen) geht es etwas mehr als 1600 Höhenmeter runter und ebenso viele wieder hinauf. Insgesamt ungefähr ein Marathon. Meine mit Abstand kürzeste der geplanten 3 Etappen. Aber auch die wohl dramatischste. 

„Wenn Ihr so oft schieben müsst, da bin ich am Ende zu Fuß schneller auf Sesvenna als Ihr mit dem MTB?!“ Manchmal rutschen unbedachte Worte aus urgemütlicher Wirtsrunde.

Bescheuert!

Top, die Wette gilt.

Wer also ist schneller auf diesem Klassiker der Alpenüberquerungsetappen zwischen der Heidelberger Hütte und der Sesvennahütte - ein geübter Mountainbiker oder ein geübter Bergmarathoni?

Ja, die Sesvennahütte. Das Ziel meiner persönlichen Alpenüberquerungsträume. Jenseits des Schlinigpasses liegt sie bereits im Vinschgau, gegenüber des höchsten Berges der Ostalpen, dem 3905m hohen Ortler. Mit Überquerung des sog. Alpenhauptkammes im fünften Gebirge würde dort die Transalp für mich komplett sein - nach Überquerung von Allgäuer Alpen, Lechtaler Alpen, Verwallgruppe, Silvretta und eben Sesvenna. Auf der direktesten Route, die noch mit Laufen und eher nicht mit Klettern zu bewältigen verspricht. Der abschließende Abstieg nach Mals im Angesicht des „König Ortler“ wäre dann gemütliches Schaulaufen zum Bahnhof. Weitere Routen Richtung zB Gardasee nicht mehr wirklich Transalp, da das Wasser der Etsch bereits zum Mittelmeer hin abfliesst.

Dem Allgemeinen Deutschen Fahrrad-Club (ADFC) sowie Serac Joe und seinen beliebten Touren sei Dank. Vor allem dieser „Bibel“ der Alpen-Biker von Achim Zahn schulde ich viele Anregungen bis zur endgültigen Findung meiner Traumstrecke. Denn wo Fahrräder so gerade noch passieren können, sollte auch zügiges Laufen noch möglich sein?!

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Hinweis/aktualisiert 2010:

(Zitat aus dem Alpenüberquerungsprogramm der MTB-hardcorer von Serac Joe:)

Den alten Weg an der Doppelseescharte hat sich die Natur wieder genommen, die Steinschlaggefahr ist sehr hoch. Deshalb wurde rechts daneben im weniger gefährdeten Gelände ein neuer, drahtseilgesicherter Steig angelegt, den Bergradler mit geschultertem Drahtesel kaum mehr erklimmen können. Die klassische, direkte Linie hat deshalb eine kleine Beule bekommen. Wir umfahren 2010 diesen gefährlichen Übergang am Verwaller Winterjöchli mit der Heilbronner Hütte. „



1.Lauftag


Wo Laufen möglich ist, und wo man es sich nurmehr wünschen möchte, wird schon am ersten Vormittag zum „Running Gag“ des Trips.

Der ADFC (Allg. Deutscher Fahrrad-Club) schreibt:

In Oberstdorf beginnt die Transalp gleich mit einem Paukenschlag: Nach dem Einrollen entlang des Rappenalpenbaches kommt der Anstieg zum Schrofenpass. Hier ist Trittsicherheit und Schwindelfreiheit gefordert. Ein steiles Geröllfeld und der steile Felsweg mit Schiebe- und Tragepassagen erfordern Kondition und Bergerfahrung. Nach einem anspruchsvollen Trail erreicht man das Lechtal, das wir in Steeg verlassen. Vor uns liegt das traumhafte Almjurtal und die Valluga. [...] Das Etappenziel ist die Leutkircher Hütte. [...]

Es geht los. Endlich. Doch beim Ausstieg aus dem Nachtzug trifft mich in Oberstdorf der Schlag. Was ist denn hier passiert? Das kann ja gar nicht wahr sein. Die Tour soll schon scheitern, wo sie noch gar nicht wirklich begonnen hat?! Schaid. Ach herrjeh.

Schaid?!?

Um es kurz zu machen: Schaid ... diese alpine Brauchtumspflege hatte ich live noch nie miterlebt, und ich weiß nun, warum es gut so war. Zur Viehscheid im Herbst stehen 3 Millionen Kühe dumm herum oder verstopfen noch dümmer die Wanderwege. Manche von ihnen tragen neckische Girlanden aus heimischem Florageflecht, und alle machen Krach mit ihren Glocken. Ohne diese oft deutlich zu groß geratenen Schellen würde vermutlich auch niemand Notiz von ihnen nehmen. Nicht die wenigen Ortsansässigen. Und auch nicht die gefühlt 9,3 Millionen Touristen, von denen viele gar wilde technische Geräte als Girlanden herumtragen, um die Kuh-Blumen für immer fotografisch festzuhalten. Was selten gelingt, scheinen doch alle Menschen gemeinsam reichlich vergorene Getränke aus den vielen geschüttelten Eutern genossen zu haben. Oder Bier. Schnell raus hier. Schon nach 2km gebe ich auf. Denn es ist unmöglich, allen tierischen und vielleicht auch menschlichen Hinterlassenschaften auszuweichen. Ergo mittendurch. Damit der Hüttenwirt am Abend auch riechen kann, woher ich komme.

Wie war das mit dem „bescheuert“?!

Erst nach 12h30 bin ich endlich am berüchtigten Schrofenpass mit den kniffligen Passagen und der Aluleiter, wo schon manches Fahrrad seinen Besitzer für immer verlassen hat. Beziehungsweise umgekehrt. Was wirklich mehr als bescheuert war.

Österreich erwartet mich mit flüssig zu bespringenden Almpfaden. Die Hauptstraße hinunter nach Steeg ist bald erreicht und auch wenn die Strecke hier allenfalls am Rande erregt, ein paar flotte Asphalt-Kilometer zum Ausgleich des morgendlichen Zeitverlustes sind willkommen. Weniger willkommen bin ich im örtlichen Supermarkt. Schon aus Gewichtsgründen befinden sich bloß ein paar Riegel und Salamihäppchen im Rucksack, immerhin trage ich alles, was ich ab/bis Berlin zu brauchen glaube, am Mann. Auf ein Stück verdorbenen Käse oder gärende Früchte hätte ich bei der Hitze eh keinen Appetit. Der Supermarkt in Steeg ist über den Mittag leider mexikanisch geöffnet und hält satte 3 Stunden Siesta. Pech gehabt. Einkehr im Gasthaus unterwegs kostet Zeit, die ich zumindest heute lieber auf den Hüttenabend verschieben will. Also gleich hungrig weiter ins liebliche Almajurtal.


Der Tag ist heiß, der Durst groß, das frische Wasser aus den Gebirgsbächen muss ich häufig in meine beiden Flaschen nachfüllen. Auch das kostet natürlich etwas Zeit, aber trotz der ambitionierten sportlichen Zielsetzung bin ich nicht so bescheuert, daß das Wichtigste, meine Kontemplation, das Bergelebnis als solches, auf der Strecke bleiben dürfte.
Außerdem ist das Almajurtal überaus beschaulich, irgendwie noch ein echter Sommerwandertip.

Ein mühsamer Direktaufstieg von der Bodenalpe zur Leutkircher Hütte“.

Wie vom ADFC beschrieben, ist der Abschluss des Lauftages heftig, bevor ich kulinarisch zuschlagen und die Akkus in 3 Gängen wieder auffüllen darf. Erkennbar waren auf dieser Strecke ein paar Tage zuvor auch die Akteure des noch in den Kinderschuhen steckenden Transalpine Run http://www.transalpine-run.com/ in Pärchen unterwegs gewesen. Der Pfad ist aufgewühlt, als wären die Kühe aus Oberstdorf gerade wieder auf ihre Almen zurückgetrieben worden. Steil geht es zunächst mit willkommenem Schatten im Wald, später über Matten, bisweilen durch etwas Latschengestrüpp zügig bergan, bis die ersehnte Hütte erst spät ins Blickfeld rückt.

Die Leutkircher ist eine typische Alpenhütte mit ausgezeichneter Bewirtung, einfach, urig, rustikal, und mit freundlichen, überaus hilfsbereiten Menschen. Müde und zufrieden beschließe ich den Tag aussichtsreich vor der herrlich in der Scharte gelegenen Unterkunft bei einem erfrischenden Radler zum Sonnuntergang. Trinken, essen, schlafen. Hauptingredienzen sportlicher Leistungsfähigkeit. Duschen gehört heute nicht dazu, Katzenwäsche vor dem Schlafsackbezug muss auch mal genügen.


Tagesroute 1.Tag mit Höhenangaben in Metern:

Oberstdorf (DEU) (813) - Schrofenpass (1687) – (GR) Lechleiten (1539) - Steeg im Lechtal (1124) – Kienberg (1297) – Almajurtal bis Bodenalpe (1554) - Leutkircher Hütte (AUT) (2252)



2.Lauftag


Als ich um 7h30 beim Frühstück sitze, liegt die böse Doppelseescharte unbekannt noch in weiter Ferne. Unten in Sankt Anton werde ich am Supermarkt ein weiteres Frühstück geniessen und etwas Proviant zukaufen, denn Müsliriegel kann ich mal wieder nach nur einem Tag kaum noch ausstehen. Zügiger Abstieg, schon nach einer guten Stunde sitze ich am Marktkirchplatz dieser berühmten Wintersportmetropole in der Sonne und genieße frisches Obst und warme Croissants. Herrlich!

Steil aufwärts, ein Kaiserschmarrn wartet. Wie ein flüssiger Edelstein liegt er da. Nein, nicht der Schmarrn, der neu angelegte Stausee auf halber Höhe des wunderschönen Moostales, welcher die Gemeinde Sankt Anton mit autarkem Strom versorgt. Immer wieder schaue ich beim Anstieg zur Darmstädter Hütte fasziniert auf dieses türkisblaugrüne Kleinod zurück. Ganz ehrlich, meine Erinnerungen an diesen Alpen-Trip sind insgesamt deutlich angenehmer, als die Beschreibung mancher Strapazen vermuten lässt. Richtig unangenehm bleibt eigentlich nur die ... ja ... die Doppelseescharte. Ohne den sensationell leckeren Schmarrn mit Kompott vorher könnte dieser wirklich anstrengende, sehr steile Übergang durchaus zum unüberwindlichen Schmarrn mit Kompott in den Beinen nachher gereichen. So werden es abenteuerliche, am Ende erfolgreiche 4 Stunden verzweifelter Kampf gegen gemeines Geröll.

Jenseits der Scharte muss ich zu allem Überfluss beinahe kaminartig abklettern, vermutlich hatte ich die richtige Scharte knapp verfehlt. Die kurze Rast am einsamen Madleinsee ist danach mehr als verdient. Ob Mountainbiker über so gutes Material verfügen, dass sie das Gerät einfach unbeschadet durch besagten Kamin nach unten werfen könnten? Hut ab, wer jemals mit Fahrrad diese Passage in einem trockenen Sommer ohne Schnee dort oben überwunden hat. Denn das auch nur zu versuchen, ja das fände nun ich wiederum ziemlich bescheuert.

Nach weiteren 1000 Höhenmetern stramm bergab erreiche ich Ischgl. Tirol. Leute, wer hat denn das  verbrochen? Ischgl.

Ischegal, wie's ausschaut? Der ein oder andere international bekannte Wintersportort wirkt ja im Sommer wie ein freigerodetes Umspannwerk, aber so heftig wie hier habe ich es selten in den Alpen erlebt. Die website verspricht daß Ischgl mit „Nachtleben begeistere“, das „stylish und urban“ sei und „mit jeder Metropole der Welt mithalten“ könne. Na super. Davon abgesehen, daß sich Ischgl nicht mit New York, Bangkok oder Berlin vergleichen sollte, weil es daneben nicht stylish urban sondern auch im Winter albern provinziell wirkt, sollte es auch vermeiden, sich wie eine Großstadt zuzubetonieren. „Menschen aus aller Welt feiern hier ohne Kompromisse und das Flirten kann schon fast zu den angebotenen Trendsportarten dazugezählt werden.“ Ach ja: Nachtschwärmer schlafen am Tag und müssen dieses Augenkrankheit gewordene ehemalige Bauerndorf kaum anschauen. Na dann ...

So sage auch ich mir, 'Augen zu und schnell durch!'. Bis ganz hoch zur Heidelberger Hütte durch das erst im Abschluss versöhnliche Fimbertal ist es ohnehin ein weiter Hatscher. Der mit Abstand längste der 3 geplanten Tage wäre leicht abzukürzen, denn Taxis fahren gerne ein erkleckliches Stück. Mindestens bis zur auch hier vorzufindenden Bodenalpe, einem Berggasthof auf 1848m, der notfalls als preiserträgliche Alternative zur Hütte taugt, sollte der Tag bis hierhin allzulang geworden sein. Dann aber würde man einen echten Clou alpiner Unterkunftskultur verpassen, eben jene multinationale und sehr komfortable Heidelberger Hütte, die unschwierig weil unsteil erreichbar ist und schon bald nach Passieren des angedeuteten Grenzschlagbaums in der Ferne lockt. Ich bin überrrascht, erst fast im Dunkeln anzukommen. Und ausnahmsweise froh über die erste Dusche seit Berlin. Was sollen die Vorarlberger Jungs, mit denen ich die Stube und hernach die besagte Wette teile, sonst auch von mir denken.


Tagesroute 2.Tag mit Höhenangaben in Metern:

Leutkircher Hütte (AUT) (2252) - Putzalpe (1726) - St. Anton a. Arlberg (1286) – Moostal – Kartellboden mit Stausee (1974) - Darmstädter Hütte (2384) - Doppelseescharte (2786) - Madleinsee (2437) - Ischgl (1376) - Fimbertal – (GR) Heidelberger Hütte (CH) (2264)



3.Lauftag


Es wird spannend. Und es wird tatsächlich spektakulär.

Um 8h30 nestele ich noch an meinem Laufgepäck, als die Jungs bergan Richtung Fimberpass starten. Im Gegensatz zum Vortag wird es schnell schrofig und unwegsam, bald schwer bis un-fahrbar. Vor der Passhöhe auf 2600m kann ich mich absetzen, der schmale, einsame Bergpfad runter ins Unterengadin ist ebenso steil, zu Beginn arg verblockt. Aber mit etwas Wagemut für geübte MTBler durchaus fahrbar. Das Wetter ist noch immer grandios, die Strecke trocken. Bald öffnet sich das Tal, der Weg wird breiter und der Blick schweift über wilde ursprüngliche Bergwelt. Es bleibt einsam. Sehr einsam. Euphorie stellt sich ein. Topfit und im 4'30er Schnitt nurmehr sanft bergab, der Boden verlangt kaum Aufmerksamkeit - das ist Laufen wie im Traum.

Mountainbiken ebenfalls. Die Jungs rauschen in einem Affenzahn vorbei, noch ehe wir Vna, die erste Ortschaft des Val Sinestra erreichen. Unten in Ramosch kurzer Supermarkteinkauf und Rast. Die Engadiner Nusstorte überlebt keine 10 Minuten. In Sur-En treffe ich die Vorarlberger kurz darauf wieder, sie gönnen sich eine deftige Mahlzeit in der Gaststätte des örtlichen Campingplatzes an den Ufern des Inn. Der heißt hier rätoromanisch En, eigentlich keltisch benannt und bedeutsam als „der Grüne“. Im Unterengadin sieht man warum. Der Himmel hingegen bedeutet nun nicht mehr nur Blaues. Erste Wolken ziehen auf. Niederschlag erscheint auf dem Weg rauf Richtung Italien immer wahrscheinlicher.

Zunächst bleibt es trocken, meine Radler aber haben Mühe, das steile Uinatal im Sattel zu erklimmen. Laufen und fahren erscheint etwa gleich schnell, wir verlieren uns kaum aus den Augen. Immer enger werden die Serpentinen im Nadelwald, es wird zunehmend steiler und steiniger. Leichter Regen setzt ein. Immer enger rücken die Bergwände zusammen. Frauenschuh um Männerwaden. Denn für Freunde von Flora und Fauna ist das Val d'Uina ein ebenso seltenes Glück. Im Sommer 2005 wurde nach langer langer Zeit gar wieder ein Bär gesichtet. Nahe des Schweizer Nationalparks hätte Problembär Bruno vermutlich größere Überlebenschancen gehabt als bei Edmund in Bayern.

Am letzten Gehöft in Uina Dadaint stehen die paar Holzbänke schon richtig im Regen, eine Kreidetafel verheißt Verköstigung. Allein: die Türen sind sämtlich verschlossen. Eine kleine Wandergruppe, die vom Inntalboden aus einen Tagesausflug hierher macht, murrt und flucht. Ich schaue mich um und frage mich, wo zum Teufel aus dieser an Dolomitengipfel erinnernden, hochalpinen, beinahe geschlossenenen Arena ein Ausweg Richtung Italien sein soll !?

Senkrechte Kalkfelsen erklimmen?! Oder „vade retro!“, also zurück?! Bis 1910 war das genau so. Dann entschloss sich die Pforzheimer Alpenvereinssektion, den Bau des vielleicht spektakulärsten Alpenübergangs mitzufinanzieren. Il Quar - ein etwa 600m langer in die Felsen hineingesprengter Pfad hoch über einem wildromantischen Bach, der von der Alpe weiter oben allein einen Weg durch die Felsen fand. Ein paar bunte Regencapes weisen den Weg in die Wand. Ich erreiche ihren Fuß, gerade als die Vorarlberger ihre Räder um den offenbar immer noch verriegelten Hof schieben. Es regnet sich ein. Der glitschige Steinpfad ist nur mit allerhöchster Obacht passierbar. An den gefährlichsten Stellen sind natürlich Geländer angebracht. Immer wieder verschwindet der Weg im Felsentunnel. Welch atemberaubende Klamm.

Leider macht das Wetter jenseits des Steinpfads richtig Ernst. Bis zum Erreichen der Hütte wird die Sichtweite nurmehr 50-100m betragen. Höchstens. Ich fühle mich alsbald in einen Nordwestirlandnovember versetzt. Gras, Wasser, Erde, Gras. Feuchtes Grün unter mir, feuchtes Grau über mir, Feuchtes ringsum. Riesige Schlammpfützen tun sich auf, beim Umlaufen muss man aufpassen, den richtigen Pfad beizubehalten. Oder das, was davon übrig ist. Unsagbar sumpfig und matschig ist es geworden. Schnell bin ich völlig durchtränkt, die tolle Expeditionsschlechtwetterjacke mit rückwärts verpudeltem ripstop double texmexapore layer und 795727 Milliliter Wassersäulenwiderstandsfähigkeit liegt daheim im Schrank. Zum Laufen find' ich die eher unbequem. Und ich bezweifle, dass sie diese Dauerdusche tatsächlich kuschliger würde gestalten können.

Schon bedaure ich auch meine Bregenzer Leidensgenossen, die diesen ganzen Edgar Wallace Film zum Tagesabschluss noch vor sich haben. Mit Fahrrad stelle ich mir das extragrausam vor. Da ist es am Ende völlig gleichgültig, wer wie schnell unterwegs ist. Der Spaßfaktor entscheidet, und der leidet gerade arg.

Wo ist denn jetzt die Grenze zu Italien? Müsste nicht irgendwo eine Tafel stehen? Nach gefühlt 2 Stunden Umherirrens in alpinen „Hochmooren“ schält sich endlich ein Gebäudeumriss aus dem Nebel. Es ist die „alte Pforzheimer Hütte“. Diese ist längst verlassen und verfallen, deshalb für Unvorbereitete Ort mancher Verzweiflungstat. Denn bei Schlechtwetter lässt sich die rückwärtig etwas abseits liegende richtige Sesvennahütte kaum ausmachen.

Alpenvereinsunterkünfte haben im Eingangsbereich häufig einen sogenannten Trockenraum, in welchem man die feuchten Klamotten bis zum Folgetag wieder einigermassen geradebiegen und so Wirtsleute wie andere Gäste vor allzu ekelerregenden Szenen verschonen kann. Nie habe ich diesen Raum mehr herbeigesehnt als an diesem Tag!

„Der Spaßfaktor entscheidet!“

Wie gesagt, am Ende war es völlig egal, wer wie schnell unterwegs war. Nach dem Absaufen draußen haben wir, die wir zwischen 15h30 und 17h30 irgendwie alle erschöpft aber glücklich im Refugio Sesvenna eingetröpfelt waren, das Absaufen drinnen beim erneut gemeinsamen Hüttenabend wirklich genossen. Und – wenn ich ehrlich bin – eine ziemlich bescheuerte Aktion irgendwie auch. ;-) Denn mit schlechtem Wetter, das muss jedem Alpencrosser klar sein, ist immer zu rechnen.

Ansonsten waren die Wetterbedingungen tatsächlich prima ... und die gesamten 3 Tage auf der Ultradirettissima, die waren geradezu „primissima“ :-)


Tagesroute 3.Tag mit Höhenangaben in Metern:

Heidelberger Hütte (2264) - Fimberpass (2608) - Vna - Ramosch - Innbrücke (1112) - Sur En (1124) - Val d'Uina - Schlinigpass (2295) (GR) - Sesvennahütte (I) (2256)



(4.Tag) Ende


Als hätte es schlechtes Wetter nie gegeben, ist die abschließende Wanderung ins Tal nach Glurns/Glorezza das reinste Vergnügen. König Ortler mit seinen gewaltigen 3900+metern im Blick, entscheide ich mich, das Vinschgau auch kulturell zum Abschluss der Reise noch ein wenig anzuschauen.

Glurns (italienisch Glorezza) ist (angeblich) die kleinste Stadt Italiens, mindestens der Alpen. Vor allem ist sie mit ihrem mittelalterlichen Stadtkern sehr schön erhalten. Ein gemütlicher „Stadt“bummel, gekrönt von einem Eis am Marktplatz in strahlendem Sonnenschein, netter kann eine solche „Ultralaufreise“ nicht ausklingen. Auch wenn der Bahnhof etwas außerhalb schon fast wieder in Mals liegt, man sich nach dem Eis also doch nochmal bemühen darf.

In dieser Umgebung würde ich es bestimmt auch ein paar Tage länger aushalten.


Irgendwann werde ich wieder aufbrechen. Etwas gemächlicher vielleicht, oder doch noch etwas schneller?

Egal. Hauptsache mit Spaß. Spaß an der Natur, und an der Bewegung darin.


Ja, Laufen macht Spaß!



Mein „Ideengeber“:    http://www.seracjoe.de/


Die Anreise:     http://www.bahn.de

(Anreise zum Bahnhof ->Oberstdorf – ich empfehle, auch die Rückfahrkarte Glurns->Meran->Bozen->Deutschland vorab zu kaufen)


Die Orientierung:

aktuelles Kartenmaterial des DAV http://www.alpenverein.de/

insbesondere 2/1 und 3/2 und 28/2 und 26 ..bzw digital ---

zusätzlich Karte 98 (rote Nr) aus dem Kompass-Verlag:

http://www.kompass.at/fileadmin/pdfs/blattschnittwanderkarten2009.pdf


Die Unterkünfte:

http://www.dav-huettensuche.de

http://www.leutkircher-huette.at/

http://www.alpenverein-darmstadt.de/

(nicht zu verwechseln mit der Darmstädter Hütte im Schwarzwald!)

http://www.heidelbergerhuette.com/

http://www.sesvenna.com/

Viehscheid in Oberstdorf:    http://www.oberstdorf.de/erlebnis/viehscheid/

Näheres zum Almajurtal:     http://www.lechtal.traumhaft-schoen.de/bodenalm.htm

Verwall und das Moostal:     http://www.verwall.de/

Näheres zum Val d' Uina:     http://www.sent-online.ch/cuntradas/uina/uina.html


MTB-Transalp-Berichte:

http://alpencross.lutzevent.de

http://www.stollenritter.net/papoo/index.php?menuid=18

http://www.matthias-breitkopf.de/3Tour.html


Kultur zum Abschluss:    http://www.glurns.net/home.php

Urlaub zum Abschluss:   http://www.suedtirolerland.it/de/urlaubsziele-in-suedtirol/vinschgau/

 

shakal ryan, im Februar 2010

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